Zu Fuß über die Alpen – und das in sechs Tagen

 

Und plötzlich stand er da in seiner ganzen Pracht. Ein Steinbock. Erhaben, majestätisch – mitten auf einem Felsen. Es war erst der zweite Tag auf unserer Tour auf dem Fernwanderweg E 5 von Oberstdorf nach Meran und dennoch waren wir zu diesem Zeitpunkt bereits tief abgetaucht. In eine faszinierende Bergwelt – fernab vom Stress des Alltags. Vorweg: Es sollte eine wunderbare Tour werden! Nur eines wollte dann in diesem Moment doch nicht klappen: Der Steinbock war so schnell wieder weg, wie er aufgetaucht gewesen ist. Das Erinnerungsfoto blieb aus.

Doch der Eindruck bleibt. Und genau wegen diesen einmaligen Augenblicken tut man sich die Herausforderung – also einmal quer über die Alpen – dann wohl auch an. Nimmt man das erste Teilstück des Fernwanderwegs in Angriff, ist man über 100 Kilometer zu Fuß unterwegs, marschiert sechs Tage lang durch drei Länder, ist je nach Etappenziel bis zu neun Stunden am Tag bei Wind und Wetter unterwegs, und noch dazu geht’s unzählige Höhenmeter nach oben und genau so viele wieder nach unten.

Und trotz dieser doch beeindruckenden – für manchen eher abschreckenden Zahlen – hinter denen natürlich auch viel Schweiß steckt, erfreut sich gerade der E 5 immer größerer Beliebtheit – und daran sollte man vor allem in den Sommermonaten denken. Denn es kann dann durchaus sein, dass man mit einer regelrechten Karawane gen Meran zieht, und vor allem die Bergschulen sind dann mit unzähligen Gruppen Woche für Woche dort unterwegs. Schließt man sich einer solchen an, hat das einen großen Vorteil: Man muss sich wirklich um nichts kümmern, alles ist bestens organisiert.

Im Frühjahr oder Herbst ist der Weitwanderweg hingegen noch nicht ganz so stark überlaufen – und damit sicherlich die beste Zeit, um sich auf die Reise zu begeben. Allerdings muss man dann daran denken, dass es zu einem Wintereinbruch kommen kann (gut, der kann einem natürlich auch im August blühen).

Und der erwischte übrigens auch meine Gruppe – und das doch ziemlich heftig. Ausgerechnet in unserer Tourenwoche zog nämlich eine Schlechtwetterfront auf. Und das Mitte September. Gleich am ersten Tag ging’s mit einem Mix aus Regen, Sonne und später auch Schnee los – und so zogen wir mit Regenkleidung ausgestattet gen Kemptner Hütte (1844 m). Es war ein sanfter, angenehmer Auftakt.

Der Regen hörte auch schnell auf – nass wurden wir aber trotzdem, schließlich ging’s an einigen kleineren Wasserfällen vorbei. Diese Stellen erforderten durchaus ein wenig Trittsicherheit, denn in diesen Bereichen war’s auf dem felsigen Steig doch rutschig, aber dank der Drahtseile war er auch kein größeres Problem. Und oben lag dann auch schon Schnee!

Und der bescherte uns gleich am zweiten Tag eine Planänderung. Der Aufstieg zur Memminger Hütte (2242 m) wurde nämlich kurzerhand gestrichen. Aus Sicherheitsgründen hieß es. Dafür ging’s hinauf zum Kaiserjochhaus (2310 m) – und diese Tour entschädigte prompt für den Ausfall.

Aber erst einmal ging’s von der Kemptner Hütte noch hinauf zum Mädelejoch (1973 m) – ein altes Schild markiert hier oben die Grenze zu Österreich. Dann ging’s einen markierten Pfad hinab Richtung Holzgau (wer genügend Zeit eingeplant hat, sollte hier über die Hängebrücke wandern). In Holzgau muss man dann eines der E-5-Taxis nehmen, die einem zur nächsten Station fahren.

Bei uns ging’s eben Richtung Kaiserjochhaus weiter. Zur Begrüßung schaute eine Murmeltier-Familie neugierig, was wir bei diesem Sauwetter wohl machen würden. Der Aufstieg zum Kaiserjochhaus war ohne größere Schwierigkeiten – in Kehren ging es stetig bergauf. Oben angekommen wartete eine urige Hütte auf uns, gutes Essen (wie übrigens auf der gesamten Tour) – und ein wunderschöner Ausblick, denn es hatte doch wirklich aufgerissen.

Die Freude dauerte nicht lange, am nächsten Tag ging’s wieder mit vielen Wolken weiter. Der Abstieg war dann lang, aber gut machbar. Unten angekommen fuhr uns ein Bus nach Zams weiter. Dort ging’s mit der Venet-Bergbahn hinauf auf den Vent (2212 m). Die Nachmittagstour war zum Erholen gedacht, auf einem Panoramaweg wanderten wir Richtung der privat bewirtschafteten Gaflunalm (1960 m).

Der vierte Tag – zunächst ging es nach Wenns hinunter (1000 m) und schließlich wieder mit dem Bus weiter – sollte dann nach dem Mittagessen in der Gletscherstube (1915 m) am Fuße des Mittelbergferners die erste Herausforderung werden. Es ging hinauf zur Braunschweiger Hütte (2759 m). Pünktlich zum Start setzte heftiger Schneefall ein – der Aufstieg wurde so beschwerlich. Ja, richtig anstrengend und herausfordernd. Aber oben angekommen war’s einfach nur ein Glücksmoment pur!

Und der sollte sich am nächsten Tag noch einmal wiederholen. Denn auch der Aufstieg zum Rettenbachjoch (2990 m) war nicht ohne. Der Weg war gut gesichert, aber der Schnee machte das Ganze doch zur Herausforderung. Die weitere Tour an diesem Tag führte Richtung Bergsteigerdorf Vent (1900 m) im Ötztal. Ein kleiner beschaulicher Ort, der Ausgangspunkt für viele weitere tolle Touren ist.

Unser finaler Aufstieg sollte uns hinauf zur Similaunhütte (3019 m) führen. Und am letzten Tag gab’s für diese wunderbare Tour Bilderbuchwetter! Was für ein genialer Tag! Der Weg hinauf ist sehr gut machbar – und wer genügend Zeit hat, kann hier theoretisch auch noch einen Abstecher zur Ötzi-Fundstelle unternehmen (rund 2,5 Stunden zusätzlich sind dafür aber nötig).

Der Abstieg ins Schnalstal war dann nochmals lang. Vor allem das erste Stück auf einem schmalen, steilen Serpentinenweg erfordert noch einmal die volle Konzentration. Aber der Weg flacht dann immer mehr ab. Perfekt, um diese Woche nochmals Revue passieren zu lassen. In den Sommermonaten kann man dann am Ziel, dem Vernagt-Stausee, die Füße ein wenig abkühlen lassen und im Tisenhof (1814 m) die erfolgreiche Alpenüberquerung gebührend feiern, ehe man mit dem Bus nach Meran fährt – und da darf dann natürlich noch ein wenig weiter gefeiert werden. SB

Tourdaten

Ausgangspunkt: Das erste Teilstück des Fernwanderwegs E 5 beginnt in Oberstdorf, Ziel ist Meran.

Kontakt: Unter anderem bietet das Oase Alpincenter Oberstdorf, Telefon 08322/8000 980, von Juni bis September Touren am E 5 an. Es gibt aber auch weitere Anbieter.

Literatur: »Fernwanderweg E 5«, Rother Wanderführer, Stephan Baur, Dirk Steuerwald, ISBN 978-3-7633-0117-1.

Anspruch: Eine Kondition für Tagestouren von bis zuneun Stunden ist nötig; zudem sollte man in einer guten körperlichen Verfassung sein und auch Bergerfahrung haben. Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind auch nötig.